Shino Me

Barrierearmut (von Barrierefreiheit wage ich gar nicht zu sprechen) und Medizin scheinen noch immer auf zwei unterschiedlichen Planeten zu leben.. 

„verfügen lediglich 87.000 von rund 179.000 Praxen in der ambulanten Patientenversorgung nachweislich über Vorkehrungen der Barrierefreiheit: ... Minderheit der Hausarztpraxen ist sehbehindertengerecht gestaltet, Bruchteil der Facharztpraxen verfügt über verstellbare Untersuchungsmöbel“ 

Alleine die Unterschiede in der Ausstattung sind riesig: Meine Hausarztpraxis: modern, barrierearm, rollstuhlgerecht, übersichtliche Räume, große Infos an den Türen. Vieles virtuell zu organisieren, Platz für Rollatoren in allen Räumen. Ruhige Atmosphäre, top ausgebildete MFA, mehrere Ärzte, großes eigenes Labor. Und eine Webseite, die tatsächlich gute Informationen barrierefrei anbietet.

Dann war ich letztens bei einem Facharzt, wo Barrieren den Besuch zu einem Abenteuer machten. Ein Abenteuer, auf das ich gerne verzichtet hätte..

Vielen Mediziner*innen ist nicht bewusst, wo sie Stellschrauben haben, um Barrieren zu reduzieren. Nicht immer muss es gleich ein kostenintensiver Umbau der Praxis sein. Oft können bereits kleinere Anpassungen helfen. 

 
Barrierearm für mich:
Ich vereinbare virtuell Termine, bestelle Rezepte, lade Dokumente hoch. Emails werden zeitnah beantwortet. Ich kann draußen warten, werde über die Telefonanlage reingerufen und an der Eingangstür von einer MFA abgeholt und in den Raum gebracht. Dies wird bei der Ankunft vermerkt. 

Sollte ich doch ins Wartezimmer gehen: Abstände zwischen den Stühlen sind sehr groß, es ist ruhig und übersichtlich gestaltet. 
Meine HA hat sich durch mich zum Thema Autismus informiert, in der Behandlung geht es um mich, keine Stereotype. 

Nun musste ich zum Facharzt: 
Alles nur per Telefon oder persönlich. Doch das Telefon war ständig besetzt und man wurde nach kurzer Zeit aus der Leitung gekickt. Vor Ort: Enges Wartezimmer mit wenig Abständen. Räumlichkeiten & Abläufe für mich unübersichtlich oder inkonsistent. Für mich sind das unsichtbare Barrieren. 

Zusätzlich kamen Punkte, wie: Urinprobe musste man von der engen Toilette durch den Gang zu einem Tischchen am Ende eines Ganges tragen. Und zwar in einem Plastikbecher. Wie soll das eine Person angehen, die Krücken oder einen Rollator nutzt, hinbekommen? Gut, die hätte den Rollator nicht mal bis in die Toilette mitnehmen können..

An der Stelle fragte ich mich, ob Mediziner*innen eigentlich eine angemessene Unterstützung erhalten, wenn sie ältere Praxisräume barrierefrei umbauen wollen. Wäre das nicht wichtig bei einer immer älter werdenden Bevölkerung? 

Die Ärztin hat eine wunderbare Anamnese durchgeführt. Auf meiner Überweisung war eine Liste von Wirkstoffen, auf die ich reagiere, das wurde besprochen (verengt die Auswahl an Medikamenten). Sorgsame körperliche Untersuchung, es wurde erklärt, warum ich nun zum CT soll, welche Medikamente ich direkt bekomme.

😊 ich bekam von der MFA ein Zettelchen (2 x 5,2 cm!), wo stand, was ich wann einnehmen muss. Die Größe ist sicherlich nicht barrierearm, aber ich bekam zumindest genaue Angaben. Sie hatten ein ganzes Arsenal an Zetteln für verschiedene Szenarien.

Es gab für mich Barrieren, die den Zugang für mich erschwerten, Stress erzeugten, aber ich fühlte mich kompetent behandelt. Nächste Mal frage ich, ob ich draußen warten darf, da das Wartezimmer Stress erzeugt. Das wäre für mich hilfreich. 

Es wäre großartig, wenn Ärzt*innen viel Unterstützung bei der Praxisumgestaltung und Anpassung von Abläufen bekämen: 
Kommt das Thema eigentlich in der Ausbildung vor? 
Gibt es Ansprechpartner*innen, die Praxen kostenfrei beraten? 
Grade Anpassungen für Autist*innen wären oft leicht umsetzbar, aber wer weiß schon, was hilfreich ist?